«Bei leeren Plätzen wird der Austausch schwierig»

Stefan Kurath kennt sich aus mit der Gestaltung von Freiflächen. Der Architekt und Stadtentwickler spricht sich für klare Rahmenbedingungen aus und befürwortet Kollektivgärten. Im Interview erklärt er zudem, weshalb nicht gestaltete Schwellenräume zu Konflikten führen.

Herr Kurath: Definieren Sie bitte den Begriff Freifläche.
Diesen Begriff benutze ich nicht. Der klassische Begriff für den Raum zwischen den Gebäuden lautet Freiraum. Er wird zumeist von Landschaftsarchitekten gestaltet, aber durch Architektur und Erdgeschossnutzungen bestimmt. Deshalb spreche ich noch lieber vom Stadtraum.

Wie sollen Frei- oder eben Stadträume bespielt werden?
Die Bespielung hat stark mit den Menschen zu tun, welche dort wohnen. Ein leerer Platz ist nicht automatisch ein schlechter Platz. Hingegen wird ein Austausch im Quartier schwierig, wenn der Platz immer nur leer ist. Auf der anderen Seite kann räumliche Weite auch eine Qualität haben, und solche Orte können je nach Gestaltung durchaus schön sein. Sie können beispielsweise voller Bäume sein.

Worauf muss bei der Bespielung geachtet werden?
Die Angebote sollten immer adäquat zum Raumverhältnis und zur Menschenmenge stehen. Einen grossen Platz sollte man nicht mit einem kleinen Restaurant zu bespielen versuchen. Manche Freiräume bieten sich für Events und Anlässe an. Doch wie viele man davon im öffentlichen Raum durchführt, ist eine Frage der Quartiersensibilität und wie viel Rambazamba die Anwohner vertragen oder möchten.

Wie viel des Freiraumes sollte man gestalten, wie viel der Fläche gänzlich frei lassen?
Eine Gestaltung ist grundsätzlich immer notwendig. Das heisst aber nicht, dass alles festgelegt sein muss. Ein guter Landschaftsarchitekt schafft auch Flächen, auf der Pionierpflanzen wachsen oder die angeeignet werden können. Das wirkt total zufällig, ist aber genauso geplant. Das ist kein Votum, Räume sich selbst zu überlassen. Innerhalb eines Gestaltungskonzeptes ist es jedoch sinnvoll, Freiräume zu definieren, die den Menschen eine Aneignung zulassen.

Aneignung bedeutet was genau?
Aneignung ist die einfachste und effektivste Form der Mitwirkung, also der Mitgestaltung des Stadtraums durch Bewohnerinnen und Bewohner. Es fördert die gesellschaftliche Integration und stärkt den Quartiergeist. Die Nachfrage dafür ist gross, das Angebot viel zu klein.

Wie viel Grün braucht es bei einer neuen Überbauung?
Im Zusammenhang mit dem Klimawandel soviel wie möglich. Die Räume heizen sich immer mehr auf. Deshalb kann es nicht genug Grün haben – also Wiesen, Büsche und Bäume. Wiesenflächen sind immer kühler als ein Teer- oder Kiesbelag. Niemand sitzt bei 40 Grad gerne auf einer Restaurantterrasse, umgeben von Beton. Auch für die Biodiversität ist viel Grün wichtig. Begrünung ist aber auch ein Trend. In Milano und China gibt es ganze Häuserfronten, die bis oben mit Bäumen bepflanzt sind.

Grün beruhigt auch.
Nach der Farbpsychologie – glaubt man daran – ist das so. Studien sagen, allein das Sehen von Pflanzen sei gesundheitsfördernd. Wir haben in der Schweiz das Glück, dass wir immer schnell im Wald oder von Wiesen umgeben sind.

Was halten Sie von Urban Gardening?
Im Kollektiv ist es eine fantastische Möglichkeit zur Aneignung von Raum und zur Integration von Menschen. Es fördert die Gemeinschaftsbildung und stärkt das Quartierleben. Ein erfolgreiches Beispiel ist der Prinzessinnengarten in Berlin. Oder die Kalkbreite. Dort eigneten sich die Genossenschafter bereits im Vorfeld Raum an und realisierten Kollektivgärten.

Sind Kleingärten auch ein Mittel, sich Raum anzugeignen?
Die finde ich problematisch. Kleingärten dienen vor allem der Selbstverwirklichung und jeder erachtet sein Gärtchen als Privatbesitz. Gerade in einem Arealentwicklungskonzept sind Kleingärten kontraproduktiv.

Damit sich die Bewohner Freiflächen aneignen können, braucht es eine Koordination oder gar eine Moderation?
Da bin ich sehr skeptisch. Im Richti-Areal in Walisellen lehrt die Soziale Arbeit die Bewohner, die Innenhöfe anzueignen und zu nutzen. So etwas sollte aus eigener Initiative geschehen. Wichtig ist jedoch, die Leute zu informieren, dass sie sich Raum aneignen sollen und dürfen.

Braucht es dafür Rahmenbedingungen?
Die sind sehr wichtig. Spielregeln auch. Ferner muss man die Leute auch befähigen, sich Freiräume anzueignen.

Wie das?
Als erstes muss überhaupt mal Raum zur Verfügung gestellt werden. Der zweite Schritt ist, die Verantwortung mehreren Personen zu übertragen. Das motiviert die Leute und gleichzeitig weiss man, wer Ansprechperson ist. Wenn das nicht von alleine funktioniert, muss man sich fragen, ob das Bedürfnis nach Aneignung tatsächlich vorhanden ist.

Anstelle von Freiraum sprechen Sie lieber von Stadtraum. Was gilt es hier zu beachten?
Der Stadtraum ist das Zusammenspiel zwischen, Freiraum, Erdgeschossnutzungen und der Architektur. Er definiert die Übergänge vom privaten in den öffentlichen Raum und klärt, was privat und was öffentlich ist. Man spricht auch von Schwellenräumen. Das Gewerbe zum Beispiel nutzt Teile davon für seine Aussenangebote, was zur Belebung des öffentlichen Raumes führt. Leider wird in diesem Bereich vieles schlecht gemacht.

Zum Beispiel?
Es wird zu wenig auf die Schwellenräume geachtet – insbesondere bei privaten Nutzungen im Erdgeschoss. Nehmen wir das Quartier Zürich-West zwischen Pfingstweidpark und Hardbrücke, dort gibt es Erdgeschoss-Wohnungen ohne Schwellenräume. Jeder stellt seinen Grill hinaus, grenzt sich mit Blumentöpfen ab oder zäunt sich mit Bambusmatten ein. Das ist der reinste Wildwuchs. Drängt sich privater Raum immer mehr in den öffentlichen, sind Konflikte vorprogrammiert.

In Neu-Oerlikon hat man bereits bei der Arealentwicklung Freiraum-Strukturen angelegt. Bleiben dort die Konflikte aus?
In Neu-Oerlikon ging man von einem Entwicklungshorizont von 30 Jahren aus. Entsprechend hat man zuerst Freiraumstrukturen angelegt und ein paar Parks realisiert. Dummerweise war das Quartier innerhalb von fünf Jahren entwickelt, die Leute kamen, doch die Bäume und Pflanzen waren noch überhaupt nicht so weit. Und weil sich das Quartier so rasch entwickelte, gingen die Erdgeschossnutzungen vergessen und es wurde kein Stadtraum gebildet. Jetzt müssen dort die entstandenen Probleme gelöst werden. Die Intension war jedoch sehr gut. Die Freiräume sind toll und werden immer besser.

Stefan Kurath

Der Schweizer Architekt und Urbanist (43) ist in Thusis (GR) aufgewachsen. Er studierte Architektur in der Schweiz und den Niederlanden und promovierte in Stadtplanung an der HafenCity Universität Hamburg. Er ist Professor an der ZHAW (Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen) und leitet dort mit Regula Iseli das Institut Urban Landscape. Parallel dazu arbeitet er als Architekt in Zürich und in einer Bürogemeinschaft in Graubünden. Er ist Verfasser zahlreicher Publikationen zum Thema Architektur, Städtebau und Innenentwicklung.